Mohammed Fazazi:

Der Lehrer des Terrors*


VON DIRK LAABS


Der Lehrer Mohammed Fazazi** hatte schon viele Zuhörer begeistert, seine

Schüler in der Hamburger Al-Quds-Moschee waren keine Ausnahme. In seiner Heimat Marokko, in Tanger, hatte er als Grundschullehrer Kindern erfolgreich Französisch beigebracht, in der Moschee beschrieb er Jugendlichen in bunten Farben das Paradies, wohin die Gläubigen einst gelangen würden, und die Hölle, die den Ungläubigen bleibe. In Hamburg hörten dem Imam vor allem Immigranten andächtig dabei zu, wie er den Heiligen Krieg beschwor: darunter Taxifahrer, Mechaniker, Gemüsehändler, Arbeitslose, aber auch Studenten oder solche, die es vorgaben zu sein – darunter Mohammed Atta, Marwan Al-Shehhi und Ramzi Binalshibh, die sich zu später den Attentaten des 11. September 2001 verschworen.


Fazazi liebt offene Worte. So sprach er in seinen Hamburger Predigten davon, daß es "hart für die Ungläubigen ist, daß unsere Religion uns befiehlt, ihnen die Hälse

durchzuschneiden". Wie viele andere islamistische Prediger organisierte Fazazi seine Predigt wie eine Vorlesung, Fragen mußten auf Zetteln notiert und ihm vor Beginn zugesteckt werden.


Auf die Frage, ob man mit Demonstrationen die Lage in Tschetschenien verbessern könne, antwortete der Lehrer: "Unsere Brüder in Tschetschenien brauchen keine Demonstrationen, sondern Blut, Geld und Gebete." Fazazi machte der Gemeinde zudem klar: "Bestimmte Fragen beantworte ich nur unter vier Augen, nach der Predigt." Zu diesen Privatstunden - immer vor den Abendgebeten am Freitag - lud der Lehrer spätestens von 1998 an auch Binalshibh, Atta, Shehhi und Bahaji ein - sie waren seine Musterschüler, wie sich ein Al-Quds-Gemeindemitglied erinnert. Daß der schmächtige Atta, der übergewichtige Shehhi und der humpelnde Deutsch-Marokkaner Bahaji später an die verheerendsten Terroranschlägen der jüngeren Geschichte mit planen und durchführen würden, schien damals eine groteske Vorstellung. "Sie sprachen zwar ständig über den Dschihad, aber irgendwie konnte man sie nicht ernst nehmen", erzählt ein anderes Gemeindemitglied.


Bei Fazazi war das nicht anders. Daß er zu einem der gefährlichsten Haßprediger der islamistischen Szene und zu einem ihrer radikalsten und wichtigsten Vordenker werden sollte, müßte den Lehrer im Rückblick selbst überraschen. Mohammed Fazazis Vater, ein hochrangiges Mitglied des marokkanischen Militärs, wurde nach seiner Pensionierung zu einem landesweit bekannten Islamisten, doch sein Sohn Mohammed entschied sich zunächst für eine ganz andere Karriere: Er versuchte sich als Pop-Sänger. Fazazi lernte auf diesem Weg zwar den zum Islam konvertierten Folksänger Cat Stevens kennen, aber weder mit seiner Gesangskarriere noch mit einer anderen Leidenschaft, der Malerei, konnte er große Erfolge feiern. Schließlich wurde Fazazi Grundschullehrer für Französisch und Literatur - aber auch damit konnte er seine zwei Frauen und bald elf Kinder nicht ernähren.


Erst dann eiferte er seinem Vater nach, ließ in Saudi-Arabien zum Imam ausbilden, und gründete mit saudischem Geld eine eigene Moschee in einem verarmten Vorort Tangers. Der Fall Fazazi zeigt, daß der Islamismus Aufstiegsmöglichkeiten bot – und daß auch die geistigen Anführer der Bewegung ebensowenig wie ihre Schüler als Terroristen geboren werden. In seiner Moschee in Tanger übertrieb es Fazazi mit seiner Hetze gegen abtrünnige Moslems und Ungläubige schnell derart, daß die Regierung  ihm während der ersten Hälfte der neunziger Jahre verbot, weiter zu predigen. Als das Berufsverbot aufgehoben wurde, bekam seine religiöse Karriere neuen Schwung: er predigte nicht mehr nur in Marokko, sondern "in drei Dutzend Ländern", wie seine Familie stolz erzählt. Seine Frau Assia Jabari berichtet zudem, daß die marokkanische Regierung seine Reisen bezahlt habe. Er selbst hätte sich die teuren Flüge von dem Monatsgehalt eines Lehrers in Höhe von 350 Euro niemals leisten können. Die marokkanischen Stellen lehnen jede Stellungnahme zum Fall Fazazi ab und beantworten auch nicht die Frage, ob von ihm Gegenleistungen eingefordert wurden. Daß die marokkanische Regierung Fazazi zu seinen Reisen "ermutigt" habe, gibt ein Regierungsvertreter – der anonym bleiben möchte – jedoch zu. Marokkaner im Exil sollen auf diese Weise an ihre Religion gebunden und unter Kontrolle bleiben.


Fazazis Predigten wurden auf Kassetten in ganz Europa und Nordafrika gehört, er wurde ein Star der islamistischen Szene. Sogar in eine Talk-Show des arabischen TV-Senders Al Dschazira wurde er eingeladen. Für einen Anrufer, der dem Hardliner erklärte, daß es dem Islam widerspreche, einem Dieb die Hände abzuhacken, hatte Fazazi eine klare Botschaft: Der Anrufer sei ein Abtrünniger und verdiene den Tod. Mit Aussagen wie diesen etablierte er sich als salafistischer Hardliner.


Fazizis Zuhörer lobten seine Fähigkeit, "die Menschen auf der Straße zu erreichen", er predigte nicht so abgehoben wie die offiziellen Gelehrten, die in Kairo oder Dschidda studiert hatten, er durchsetzte seine Predigten mit marokkanischem Slang. Fazazi sprach Klartext: "Wenn Frauen oder Kinder den Islam mit Gedanken, Liedern oder sonstwie beschmutzen, müssen und dürfen auch sie umgebracht werden." "Süß und lebendig" seien seine Worte, sagt ein Anhänger über den fast 1,90 Meter großen, hageren Mann mit dem dichten Vollbart.


1998 erhielt Fazazi schließlich auch eine Einladung nach Hamburg, das notwendige Visum von der deutschen Botschaft bekam er ohne Probleme. Die Hamburger Al-Quds-Gemeinde wünschte sich deutlichere Predigten, Fazazi erfüllte die Erwartungen - und blieb. Er wurde der Imam der kleinen Moschee im Hamburger Rotlichtbezirk von St. Georg. "Das Vermögen in Deutschland ist ein gesetzloses Vermögen, sie haben uns unsere besten Köpfe geraubt. Wie viele arabische Wissenschaftler arbeiten hier? Und wir sind ihre Sklaven. Wir sind Emigranten, das heißt moderne Sklaven. Wir sind Tellerwäscher, Straßenkehrer. Für uns bleiben nur die Krümel (. . .) Wir können ihnen gar nicht so viel wegnehmen, wie sie uns schulden." Mit Worten wie diesen – sie stammen aus einer Videoaufzeichnung [die dem Autoren vorliegt und Grundlange der „Hamburger Lektionen“ sind]  – brachte der Imam seine Gemeinde in Wallung.


Fazazi entwarf eine völlig neue Art der Lehre, er sprach von einem "Dschihad des

Verlangens": Keine umständlichen religiösen Gutachten seien mehr nötig, niemand müsse den Heiligen Krieg ausrufen. Jeder einzelne Muslim könne seinen "individuellen Dschihad" führen. Auch seine wichtigsten Schüler, die späteren Attentäter vom 11. September, verstanden die Botschaft. Nachdem sie sich in Gesprächen mit Religionsgelehrten ihrer Mission versichert hatten, gingen sie nach Afghanistan, wurden dort trainiert und bekamen ihren Auftrag.


Ihr Lehrer predigte weiter, reiste im ICE jeden Freitag von seinem zeitweiligen Wohnort Hannover nach Hamburg, flog regelmäßig nach Hause und durch ganz Europa. In Großbritannien etwa predigte Fazazi in allen großen Moscheen und traf den jordanischen Prediger Abu Qatada, einen anderen wichtigen Vordenker des globalen Dschihads. Als Fazazis Musterschüler Hamburg gerade in Richtung Afghanistan verlassen hatten, hielt Fazazi im Januar 2000 eine weitere Ansprache in der al-Quds-Moschee: "Deutschland, Frankreich, Amerika, Spanien, das sind alles kriegerische Nationen. Wir sind hier in einem kriegerischen Land, das den Islam und die Muslime bekämpft. (. . .) Die ungläubige Bevölkerung unterstützt ihre Regierungen durch Wahlen und Geld, deshalb sind auch sie Krieger. So dürfen wir uns ihre Töchter, Mütter, Frauen und Seelen nehmen."


Neun Monate später steuern die Hamburger Studenten Passagierjets in amerikanische Wahrzeichen und töten fast 3000 Menschen. Ihren Lehrer brachte das jedoch nicht aus der Ruhe: Er fühlte sich sicher und blieb in Hamburg, berichten Al-Quds-Gemeindemitglieder. Und obwohl mindestens ein Informant beim Bundeskriminalamt (BKA) vehement auf die Schlüsselrolle des Imams hinwies, blieb Fazazi unbehelligt. Er wurde nicht verhaftet, nicht einmal verhört. Der Informant sagt: "Nicht Atta war entscheidend, Fazazi war doch derjenige, der allen den Kopf verdreht hat." Doch nichts passierte.


Warum Fazazi nie verhört wurde, dazu will das BKA bis heute keine Stellungnahme

abgeben. Allerdings kam bei den Ermittlern Hektik auf, als die Ansprachen Fazazis gleich nach dem 11. September übersetzt wurden: Hat er wirklich gesagt, man solle den Ungläubigen die Kehlen durchschneiden, fragten die Ermittler entsetzt. Die Chance, einen gefährlichen Hassprediger zu stoppen, ließen die Staatsschützer dennoch verstreichen. Fazazi tauchte zwar noch einmal bei einer Observation auf - der inzwischen freigesprochene Marokkaner Abdelghani Mzoudi traf sich mit dem Imam auf dem Steindamm, und die Ermittler machten Fotos. Doch dann verschwand er aus Hamburg. Zurück ließ er eine seiner Töchter, die mit einem französischen Islamisten verheiratet ist, der von den Behörden als gewaltbereiter Islamist eingeschätzt wird.


Auch nach seiner Abreise spielte Fazazi bei den Ermittlungen des BKA und bei den

Hamburger Prozessen gegen mutmaßliche Unterstützer der Selbstmordpiloten kaum eine Rolle. Zeugen, die über die Rolle des Mannes hätten berichten können, wurden nicht gefunden, Insider, die man verhörte, fragte man gar nicht nach ihm.


Fazazi war derweil unbehelligt in seine Heimat zurückgekehrt und machte dort weiter wie gewohnt: Er begeisterte seine Anhänger mit seiner Lehre, die marokkanischen Behörden ließen ihn gewähren. Einer von Fazazis Zuhörern war Jamal Zougam, einer der Drahtzieher der Attentate von Madrid. Wie viele andere Schüler war er beeindruckt: "Du solltest mit ihm sprechen. Ich habe ihm gesagt, wenn er Zuwendungen braucht, könnten wir sie von den Brüdern besorgen", sagte er einem Mitstreiter am Telefon. Die spanischen Behörden hörten das Gespräch ab, Konsequenzen hatte das keine.


Fazazi konnte weiter wirken. Unter anderem verfaßte er ein Gutachten, das die Menschen in Marokko beschuldigte, vom Glauben abgekommen zu sein – ein Verdikt, das auch junge Marokkaner aus den illegalen Siedlungen Casablancas zu hören bekamen. Diese hatten zuvor lediglich Touristen das Bier vom Tisch gestoßen, nun wurden sie auf andere Ideen gebracht. Zwölf dieser jungen Marokkaner sprengten sich am 16. Mai 2003 in Casablanca in die Luft - sie ermordeten mehr als dreißig Menschen, die meisten Opfer waren Muslime, aber auch ein jüdischen Zentrum war eines der Ziele. Fazazi wurde später ebenfalls vorgeworfen, dass er in Zeitungsinterviews verschlüsselt zu Attentaten wie diesen aufgerufen habe. Marokkanische Blätter schrieben später, Fazizis Aussagen und Predigen seien wie „Brandsätze“ und er selber sei einer der „apokalyptischer Reiter“.


Wenige Tage nach den Anschlägen ließ die marokkanische Regierung den Imam schließlich in seinem Haus in Tanger verhaften. Kurze Zeit später wurde Fazazi nach kurzem Prozess als einer der geistigen Väter der Anschläge von Casablanca zu dreißig Jahren Gefängnis verurteilt.


Rechtzeitig zum heiligen Monat Ramadan im vergangenen Jahr (2008) verbreitete die marokkanische Presse Gerüchte, dass König Mohammed VI. Fazazi und andere salafistische Prediger begnadigen würde. Der König entließ zwar am Ende des Ramadans tatsächlich mehrere hundert Islamisten – Fazazi war jedoch nicht darunter. Umstritten sind ebenfalls Versuche der marokkanischen Regierung mit Fazazi und anderen Salafisten einen Dialog über eine zukünftig friedliche Auseinandersetzung anzustrengen. Fazazi bleibt bis auf weiteres in Haft. Wenn der internationale Druck auf Marokko nachlässt, ist eine frühzeitige Begnadigung jedoch nicht auszuschließen.



* der Text ist eine aktualisierte Version eines Artikels für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (Juli 2005). Er erscheint 2009 auch im Booklet der Suhrkamp-DVD-Edition „Hamburger Lektionen“.


** Fazazi ist eine phonetische Übertragung des arabischen Namens – französische Medien umschreiben den Namen auch mit: Fizazi.

Mohammed Fazazi, 1999/2000 in Hamburg. © Dirk Laabs 2012-20124

Der Text war Ausgangspunkt für das Filmprojekt „Hamburger Lektionen“, das auf der Berlinale Premiere hatte. MEHR.