Meist fehlen die Beweise

Deutsche Terrorfahnder stecken in einem Dilemma

VON DIRK LAABS

Die Bundesanwaltschaft wollte nicht einen Tag
länger warten, die brisante Meldung sollte schnell an die Öffentlichkeit: In Mainz und Bonn konnten am vergangenen Sonntag zwei mutmaßliche Terroristen verhaftet werden. Die Männer, ein Iraker und ein Palästinenser, hätten einen Selbstmordanschlag im Irak geplant. Der Iraker kannte Usama Bin Ladin persönlich und wollte 48 Gramm angereichertes Uran organisieren. Der andere Verdächtige wollte sich gerade auf den Weg nach Ägypten machen, um dort seinen eigenen Tod zu inszenieren. Anschließend sollte sein Komplize mehrere Lebensversicherungen in Deutschland kassieren. Dazu wollten es die Terrorermittler nicht kommen lassen: Zugriff im Morgengrauen, Pressekonferenz am Nachmittag, Schlagzeilen am nächsten Tag.

Wann und ob es zu einer Anklage kommt, ist indes unklar. Die Bundesanwälte verlegten sich zunehmend auf spektakuläre Prävention und sind weniger als Ankläger aktiv, sagen Kritiker - sicherheitspolitisch verständlich, rechtsstaatlich bedenklich. "Ein Anfangsverdacht darf nicht dazu mißbraucht werden", mahnt der Hamburger Rechtsprofessor Bernd-Rüdeger Sonnen, "ausschließlich präventiv tätig werden zu können. Das wäre illegal und ist auch nicht die Aufgabe der Bundesanwaltschaft." Andererseits hat Sonnen Verständnis für das Verhalten der Ankläger. "Vor dem 11. September haben sie vielleicht auf die Bedrohung nicht sensibel genug reagiert. Jetzt findet eine Gegenbewegung statt, die Bundesanwälte sind nun überakkurat." Die Bundesanwaltschaft wiederum weist den Vorwurf, hauptsächlich präventiv tätig zu sein, "weit von sich", wie es Bundesanwalt Hartmut Schneider ausdrückt.

Das Problem bleibt bestehen: In vielen Fällen kann die Bundesanwaltschaft später eine spektakuläre angenommene Bedrohung vor Gericht vage oder nur mit Indizien belegen. Mehr als 160 Verfahren werden gegen Islamisten in Deutschland geführt. Bisher gab es sieben Gerichtsverhandlungen. Der Fall des Ihsan Garnaoui etwa klang ursprünglich ebenfalls sehr spektakulär. Der Tunesier sei nur durch seine Verhaftung davon abgebracht worden, eine Bombe auf einer Friedensdemonstration in Berlin vor zwei Jahren zu zünden, behaupteten die Ankläger. Doch vor dem Berliner Kammergericht haben die Bundesanwälte Mühe, diese Behauptung detailliert zu belegen. Einziger Lichtblick der Anklage: belastende Aussagen Dritter, die am Telefon über ein "abscheuliches Verbrechen" gesprochen hatten, das der Angeklagte begehen wolle. Die Hauptbelastungszeugen, zwei V-Männer, haben sich jedoch als zwielichtig herausgestellt.

Bundesanwaltschaft und Terrorfahnder stecken in einem Dilemma: Sie wollen nicht zu lange mit einem Zugriff warten, um verdächtige Islamisten nicht aus dem Blick zu verlieren. Um die spektakulären Aktionen später rechtfertigen zu können, erörtern sie auch die kleinsten belastenden Indizien öffentlich - mit dem Ergebnis, daß die Informationen mißbraucht werden. Wie es auch im Fall der mutmaßlichen Islamisten aus Mainz und Bonn geschah. Generalbundesanwalt Kay Nehm hob zwar hervor, daß 48 Gramm angereichertes Uran nicht reichten, um Schaden anzurichten. Der ehemalige Verfassungsschutzchef Eckart Werthebach machte gleichwohl "eine neue Qualität des Terrors" aus. Daß man mehrere Dutzend Kilo angereichertes Uran braucht, um eine gefährliche "dreckige Bombe" zu bauen, sagte Werthebach nicht.

Aus den jüngsten Verhaftungen könnten auch beruhigende Schlüsse gezogen werden – daran haben, das liegt in der Natur der Sache, die Ankläger aus Karlsruhe allerdings kein Interesse. Nicht nur hatten zumindest die beiden Festgenommenen keine Ahnung von "dreckigen Bomben"; auch zeigt der Plan, durch einen Versicherungsbetrug an Geld zu kommen, daß sie keinen Zugang zu Terrorfonds hatten. Inzwischen weisen Fachleute wie der französische Ermittlungsrichter Jean-Louis Bruguière auch darauf hin, daß es eine terroristische Makrofinanzierung nicht gibt. Mit Kreditkartenbetrug und kleinen Betrügereien halten sich viele Islamisten dagegen tatsächlich über Wasser.

Im Gegensatz zur RAF erweisen die Islamisten den Bundesanwälten nicht den Gefallen, Anschläge im Konsens zu entscheiden. Die Aktivisten agieren oft unabhängig, eine zentrale Struktur gibt es nicht mehr. Ein deutscher Verfassungsschützer ist sich sogar sicher, daß Al Qaida als Organisation nicht mehr handlungsfähig ist. Doch die Ankläger brauchen das Konstrukt Al Qaida, um den Angeklagten wenigstens für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bestrafen zu lassen. Es wurden bisher keine Beweise dafür bekannt, daß die Männer aus Mainz und Bonn von außen gesteuert wurden, die "Zelle" mehr Mitglieder als die beiden hatte - Nehm behauptete trotzdem, die zwei Verdächtigen seien mutmaßliche "Al-Qaida-Mitglieder". Das letzte Treffen des Irakers mit Bin Ladin ist aber wohl über drei Jahre her.

Notgedrungen, sagt Jurist Sonnen, sei die Bundesanwaltschaft beim Kampf gegen den Islamismus auf Öffentlichkeit angewiesen und betreibe aktiv Politik. Auf die Verhältnismäßigkeit der Aktionen komme es an, die die Bundesanwaltschaft meistens wahre - im Gegensatz zu vielen sicherheitspolitischen Akteuren. In diesen "hitzigen Zeiten" appellieren Rechtsexperten, die zweifellos vorhandene Gefahr nicht zu dramatisieren. Doch viele Politiker können nicht widerstehen, denn erweisen sich sicherheitspolitische Maßnahmen als übertrieben, profiliert sich der Politiker trotzdem, schließlich hat es ja keine Anschläge gegeben. Dieser Devise scheint auch Bundesinnenminister Otto Schily zu folgen. Er vermittelte den Eindruck, daß man ohne das neue Zuwanderungsgesetz den Terror nicht bekämpfen könne. Auf dessen Grundlage könnte nun in nur einer Instanz ein Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig über die schwersten und dringendsten Fälle entscheiden. Mit 2000 zu verhandelnden Fällen pro Jahr rechneten die Leipziger Richter, berichtete der "Spiegel". Seit 1. Januar ist das Gesetz in Kraft. Seitdem wartet das Gericht auf den ersten, den Präzedenzfall. Einen "Sondersenat" für die schwersten Fälle hat man in Leipzig gar nicht erst gegründet.

Der verhinderte Kofferbomber nach seinem Urteil.  © Dirk Laabs 2010

DIRK LAABS   FILMEMACHER REPORTER AUTORhttp://www.dirklaabs.de/Website/HOME_1.html