DER HINTERGRUND

„Was redete ihr denn von der Treuhandanstalt? Wir waren doch nur Leichengräber. Aber die Leiche hat doch jemand anderes fabriziert.“

EIN EX-TREUHÄNDER


VON DIRK LAABS


Januar 1990. In der DDR ist die Aufbruchsstimmung der Herbstrevolution verflogen. In Westdeutschland greift gleichzeitig eine fiebrige Goldgräberstimmung um sich. Es scheint, als würden für viele Westdeutschen die Karten neu gemischt, als könnten sie im Osten schneller Karriere machen, dort billig Eigentum erwerben, der verkrusteten Bundesrepublik endlich entkommen. Egoismus, nicht Patriotismus treibt die Menschen mehr denn je an.


Ostdeutsche Bürgerrechtler initiieren im Februar 1990 die Gründung einer „Treuhandanstalt“, um die DDR vor dem vermeintlichen Ausverkauf zu retten. Die Treuhand soll als Eigentümerin des „Volksvermögens“  die ostdeutsche Volkswirtschaft in die Marktwirtschaft führen. Umgehend entbrennt ein Machtkampf – wer die „Superbehörde“ Treuhand kontrolliert, kontrolliert fast alle Betriebe, Fabriken und Firmen in der DDR. Aktiv in diesen Konflikt verwickelt: westdeutsche Banken und Konzerne. Sie schreiben an dem Gesetz mit, das die Arbeit der Treuhand in den nächsten Jahren strukturieren wird.


DER DEUTSCHE GOLDRAUSCH beschreibt, wie diese Vertreter der „Deutschland AG“ das westdeutsche Wirtschaftssystem in der noch existenten DDR verankerten und die Wiedervereinigung so unumgänglich wird. Die Regierung Kohl lässt derweil die DDR ausbluten, um ganz sicher die Macht in ganz Deutschland übernehmen zu können. Mit dem Staatsvertrag zur  Wirtschafts- und Sozialunion ist die deutsche Einheit dann spätestens – inoffiziell – vollzogen.


DER DEUTSCHE GOLDRAUSCH belegt auf der anderen Seite, dass die frei gewählte Volkskammer den Interessen der DDR-Bürger paradoxerweise geschadet hat. Denn den omnipräsenten ausgebufften Lobbyisten aus dem Westen stehen keine professionellen, etablierte Parlamentarier gegenüber, sondern überforderte Bürgerrechtler und ex-SEDler, die beide die Marktwirtschaft und ihre Regeln nicht kennen. Die Wiedervereinigung kann so von Januar bis Oktober 1990 wuchern, vollendete Tatsachen werden geschaffen.


Das Buch zeigt, wie sich die Einflüsterer aus dem Westen systematisch durchsetzen und verhindern, dass die DDR-Bürger ein Anteil oder ein Mitspracherecht bekommen, als es um die Zukunft ihres „Volksvermögens“ geht.


Die Marktwirtschaft darf sich so die ersten Jahre in Ostdeutschland austoben. Genau wie die KoKo-Clique um Schalck-Golodkowski, die in der Treuhand mitreden kann. Kontrolliert, fahndet, gar eingegriffen, wird selten, gar nicht oder zu spät. Einen Neuanfang kann es so in Deutschland so nicht geben.


Schon Anfang 1990 ist vielen Verantwortlichen klar, dass es viele Millionen Arbeitslose in der DDR geben würde. Die Bundesregierung schiebt die Treuhand bewusst vor, um die Kritik von sich abzulenken. Die zuständige Treuhandanstalt, einzige DDR-Behörde, die Wende und Einheit übersteht, wird zu einem perfekten Blitzableiter. Mit dem Wissen und der partiellen Zustimmung des Bundestages wird für die Treuhand ein Sonderregime eingeführt, so dass die Anstalt scheinbar autonom handeln kann. Vor allem Finanzminister Theo Waigel nutzt die Treuhand als Schutzwall, die bald die gesamte ostdeutsche Wut auf sich zu ziehen scheint.


Höhepunkt der Anfeindungen scheint der Mord am Treuhand-Chef Rohwedder gewesen zu sein, tatsächlich ist dieses Attentat ein letzter westdeutscher Mord und Rohwedder kein Opfer der Einheit – die RAF versucht Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und Sympathien im Osten zu gewinnen.


Die Proteste reißen auch nach diesem Mord nie ab. Im Gegenteil: bis zum Ende ist die Anstalt belagert, mit den Jahren werden auch ihre Erfolge von immer mehr Skandalgeschichten überdeckt.  Die spätere Anstaltschefin und Rohwedder-Nachfolgerin Breuel hätte 1993 über einen Kriminalfall stolpern müssen, dessen Hintergründe wurde jedoch von der Treuhand-Führung erfolgreich verschleiert. Breuel verbreitet das Mantra, dass die Treuhand die Entscheidungen trifft; so lenkt sie davon ab, dass die Bundesregierung für alle Handlungen der Anstalt immer politisch verantwortlich war. Ein Treuhänder sagt heute: „Mich hat vor allem gestört, dass man die Treuhand als Schuldigen für alles sah. Also denjenigen, der den Müll wegräumen sollte, und dabei wurde ganz vergessen, dass Honecker & Co. diejenigen waren, die es angerichtet hatten. Die Leute waren so vergesslich. Ich habe da immer gesagt: Was redet denn von der Treuhandanstalt? Wir sind doch nur Leichengräber. Aber die Leiche hat doch jemand anderes fabriziert. Das wollte man alles nicht wahrhaben.“


Viele Treuhänder, idealistisch, motiviert, sind noch heute von dem kurzsichtigem Zynismus und der Brutalität der Machtpolitik schockiert, die sie während ihrer Arbeit für die Anstalt erfahren haben. Diese Treuhänder wurden wie viele Ostdeutsche so auch zu Opfern des Systemwechsels, der zwar überfällig war, aber schlecht moderiert und unnötig brutal durchgezogen wurde, um schließlich mit Milliarden an Steuergeldern abgefedert zu werden, von denen viele westdeutsche Konzerne und Banken – die Deutschland AG – am meisten profitierten. Viele der desillusionierten Treuhänder sprechen in DER DEUTSCHE GOLDRAUSCH zum ersten Mal über ihre Zeit bei der Treuhand.


In der Gesellschaft wird vor dem Hintergrund der aktuellen so genannten „Finanzkrise“ wieder über die Marktwirtschaft, über Zusammenhänge und behauptete Gesetzmäßigkeiten nachgedacht. Auch die Treuhand war im Kern eine gigantische „Bad Bank“. Ein Auffangbecken für marode Betriebe, ausgestattet mit einem üppigem Haushalt, geschützt vor dem Zugriff des Parlaments und undurchsichtig für die Öffentlichkeit.


Ausgangspunkt dieses Buch war ein Dokumentarfilm-Projekt über die Treuhandanstalt, der als Kinofilm gedacht war und später in der ARD gezeigt werden soll. Inzwischen habe ich meinen Namen von dem Projekt zurückgezogen – eine Erklärung in eigener Sache folgt demnächst.


Die Einheit im Schatten

Nach dem Mauerfall und noch vor der „Wiedervereinigung“, abseits des „Runden Tisches“, unbemerkt von der Presse, wird die Macht im neuen Deutschland verteilt.

Auf der Abschlusspressekonferenz der Treuhand äußert die Anstaltspräsidentin Birgit Breuel Ende 1994 die Hoffnung, dass die Menschen mit einigem Abstand die Arbeit der Treuhand objektiver beurteilen würden. Achtzehn Jahre später ist klar: Das Gegenteil ist eingetreten. Je länger die Zeit der Treuhand zurückliegt, desto unversöhnlicher stehen sich zwei Lager gegenüber. Auf der einen Seite viele Ostdeutsche, die sich bestohlen fühlen. Auf der anderen Seite viele westdeutschen Politiker und Treuhänder, die jede Kritik an der Treuhand als undankbar empfinden und glauben, dass die historische Leistung der Anstalt nicht genügend gewürdigt wird, weil vor allem vielen Ostdeutschen das wirtschaftliche Grundverständnis fehle. So bleibt die Treuhand eine offene Wunde.

… die Treuhand war im Kern eine gigantische „Bad Bank“. Ein Auffangbecken für marode Betriebe, ausgestattet mit einem üppigem Haushalt, geschützt vor dem Zugriff des Parlaments und undurchsichtig für die Öffentlichkeit.

Ab 13. Februar 2012.

TATORT DÜSSELDORF. Die drei Einschusslöcher im Fenster des Wohnhauses von Detlev Rohwedder.